Wer heute am Wohnpark Westhoven vorbei in die landschaftlich reizvolle Aue hineinspaziert, wird kaum vermuten, dass man vor 100 Jahren hier ein ganzes Industrieviertel erblickt hätte.
Vorgeschichte
Die wachsende und aufstrebende Großstadt Köln benötigte mit ihren über 500.000 Einwohnern zu Anfang des 20. Jahrhunderts Sand und Kies für den Hoch-, Tief- und Eisenbahnbau. Nachdem die Kiesbestände im Rhein weitgehend ausgebeutet waren, eignete sich die Aue im Hochflutgebiet des Rheins als neuer Rohstofflieferant und bot auch Möglichkeiten des Abtransports.
Rheinkies- und Sandbaggerei
1911 gründete sich die „Rheinkies- und Sandbaggerei GmbH“, um Sand und Kies in der Westhovener Aue abzubauen. Eigentümer der Grundstücke war die Firma Zilkens, Baumeister & Co. Der Ehrenfelder Bauunternehmer Franz Zilkens verfolgte als Investor auch andere Projekte in Westhoven. Er überließ der „Rheinkies- und Sandbaggerei GmbH“ das Recht, auf einer Fläche von 150 Morgen jährlich 5 Morgen auszubeuten. Die Kiesgesellschaft erwies sich als äußerst erfolgreich und lieferte jährlich bis zu 10.000 Waggons an Kies, wesentlich auf der Grundlage eines Vertrags mit der Staatsbahn.
Ziegelei
Ein weiteres lukratives Unternehmen war die „Ziegelei Westhoven GmbH“, die 1915 gegründet wurde. Ihr Ringofen stand westlich der Oberstraße und nördlich unweit der Nikolausstraße, ein 50 Meter hoher Schornstein bildete das von Weitem sichtbare industrielle Wahrzeichen der Ortschaft. Den für das Ziegelwerk benötigten Lehm entnahm man einer nahe gelegenen Lehmgrube. Die Tätigkeit der Ziegelei war im Umfang bescheidener als die der Kiesgrube; sie konnte lediglich den Bedarf im Nahbereich decken. 1934 übernahmen die Geschwister Offermanns den Betrieb.
Güterbahnhof Westhoven
Die Erfolgsgeschichte der beschriebenen Unternehmen war zu dieser Zeit nur in Verbindung mit der Eisenbahn denkbar. Da es zu jener Zeit kaum befahrbare Straßen und kaum LKWs gab, konnten schwere Massengüter wie Sand und Kies über weite Strecken nur mit dem Schiff oder der Bahn transportiert werden. Um die Jahrhundertwende vergrößerte die Stadt Köln ihr Kleinbahnnetz und erreichte somit per Schiene Orte an der Peripherie der Stadt. Die 1909 gegründete Kleinbahn Köln-Porz, die Linie „E“ wurde neben der Passagierbeförderung auch für den Güterverkehr eingerichtet. Sie fuhr von der Brückenrampe am Dom über Deutz, Poll, Westhoven und Ensen nach Porz, dicht vorbei an der Westhovener Aue. Für den Güterverkehr waren in Poll zusätzlich Anschlüsse an den 1906 erbauten Deutzer Hafen und an die Staatsbahn über Vingst und Kalk angelegt worden.
Die Rheinkies -Baggerei war so erfolgreich, dass die Haltestelle Westhoven in zwei Schritten 1911 und 1915 in den Güterbahnhof Westhoven umgebaut und erweitert werden musste. In der Kiesgrube wurden 200.000 Mark in einen Bagger sowie den Bau einer Feldbahn investiert: Mit Schienen, Schwellen und Weichen wurde sie über eine 2 km lange Strecke an den rund 10 m höher gelegenen Bahnhof angebunden. Eine eigene Lokomotive und über 40 Waggons wurden für den Abtransport von Sand und Kies angeschafft. Auf dem Güterbahnhof Westhoven musste dann jeweils die gesamte Ladung auf die Güterwaggons der Hafenbahn umgeladen werden.
Der untere Teil dieser Feldbahnstrecke ist noch heute erkennbar: Er führt aus dem jetzigen tiefliegenden Teich in einen Hohlweg in Richtung Wohnpark. Die Strecke verlief danach durch den heutigen Wohnpark über die Oberstraße und das ehemalige Citroen-Gelände bis zur Überquerung der Straßenbahn. Der Bahnhof lag zwischen der ehemaligen Bahnhofstraße – heute Berliner Straße – und der André-Citroen-Straße.
Daneben verfügte der Bahnhof über zwei weitere Gleise für die in Westhoven neu angesiedelte Industrie: Dies waren die 1916 gebaute „Mannesmann Munition- und Waffenfabrik“ und das 1917 errichtete „Mannesmann Mulag“ Fahrzeugwerk. Hinzu kamen zwei Stumpfgleise, die dem Umsetzen von Lokomotiven und dem Freiladeverkehr der Ortschaft Westhoven dienten, die mit einer gepflasterten Ladestraße an den Bahnhof angebunden war. Diese befand sich am heutigen Parkplatz zwischen der Haltestelle der KVB Berliner Straße und der evangelischen Kirche. Zum Bahnhof gehörte ein Dienstgebäude, das neben einem größeren Abfertigungsraum noch eine Dienstwohnung für einen in Westhoven stationierten Beamten enthielt.
Das Ende der Industriellen Zeit
Sowohl die Industrieunternehmen als auch die Feldbahn in der Westhovener Aue erlebten nur eine kurze Phase des Erfolgs. Zwar blieb der Westen Deutschlands von größeren Zerstörungen verschont, aber es wurden zu Kriegszeiten auch keine großen Bauinvestitionen getätigt, für die Kies oder Ziegel gebraucht wurden. Nach dem Ersten Weltkrieg folgten Hungersnot, Inflation, Währungsreform und Reparationszahlungen. Das führte auch in Westhoven zu einem Ende fast aller industriellen Tätigkeiten. Die Mannesmann Waffen- und Munitionsfabrik stellte im April 1919 ihre Produktion ein, die Fahrzeugfabrik Mannesmann Mulag zum Jahresende 1928. Die Rheinkies-Baggerei schloss ihren Betrieb bis zur Mitte der 20er Jahre. Ihr Gelände wurde 1935 von der Großgemeinde Porz aufgekauft und für den Bau einer Pionierkaserne an die Reichswehr weiterveräußert. Die Ziegelei schließlich wurde im 2. Weltkrieg teilweise zerstört und stellte ihren Betrieb 1955 ein. Ihr Schornstein wurde anfangs der 1960er Jahre gesprengt, heute steht auf der Fläche der Wohnparks Westhoven. Nur noch der Name Ziegeleiweg erinnert heute an diesen früheren Industriebetrieb.
So sind heute von dem, was in der Westhovener Aue vor 100 Jahren geschah, nur wenige Spuren zu erkennen – eine davon ist immerhin der ansprechende Teich auf dem Auengelände. Statt Industrie und Eisenbahn heißen heute die Themen Wohnen und Naherholung. Welche Wandlung!
Ein Artikel des Projekts „Geschichte der Westhovener Aue“.